Geschichte der Gilde
Im Jahre 880 fand im Raum Ebstorf eine Schlacht statt, die für das angetretene Christenheer in einer Katastrophe endete. Sie wurden von den Normannen vernichtend geschlagen, Tausende von gefallenen Christen wurden samt ihrer Anführer in drei Massengräbern bestattet. Zu Ehren dieser gefallenen Märtyrer wurde an dieser Stelle eine Kapelle errichtet, die zunächst als Wallfahrtsstätte diente und aus der sich dann später um 1150 ein Kloster entwickelte.
Wie wichtig in damaliger Zeit dieses Ereignis war, zeigt die Ebstorfer Weltkarte. Sie entstand um 1230. Auf ihr sind die 3 Massengräber mit der Kapelle eingezeichnet, das Kloster selbst und andere zu damaliger Zeit wichtige Städte und Orte sind dagegen nicht dargestellt. Schutzpatron für das Kloster Ebstorf wurde der heilige Mauritius, der auch für seinen Glauben als Soldat in römischen Diensten starb.
Ebstorf mit der Wallfahrtskapelle und den drei Märtyrergräbern, Ausschnitt Ebstorfer Weltkarte um 2. V. 13. Jahrhundert
Aber nicht nur weltliche oder bauliche Dinge sollten an diese Christen erinnern, die für ihren Glauben in diesem Kampf ihr Leben liessen. So berichten die ersten schriftlichen Aufzeichnungen des Klosters auch von einer angeschlossenen Gebets- und Bruderschaft, die zu Ehren der Ebstorfer Märtyrer und des Klosters ins Leben gerufen wurde. Aus ihr entwickelte sich die heutige Schützengilde Ebstorf.
Aus einer Urkunde von 1289 erfahren wir, dass man sich in diese Bruderschaft Einkaufen musste. Dieses ist auch heute noch Pflicht eines jeden neuen Gildebruders. Ausserdem sind auch hier schon Rechte und Pflichten genannt wie Versorgung im Alter, Grab auf dem Friedhof usw. Sind es zunächst meistens Adelige, die in dieser Bruderschaft Aufnahme fanden wie der Ritter Helmbert v. Komene (1289) oder die Herzöge Otto II. und III. (1330), folgen auch Dienstleistende des Klosters wie z.B. der Bäcker Berthold Ole (1375), Bäckermeister Hoyer Rostenbek (1390) oder der Reitknecht Ludeke van Otze am 1.Februar 1390.
Aus dem Testament eines Mönches vom 21. Juni 1454 erfahren wir auch den Namen dieser Bruderschaft. Bei der Auflistung seines Erblasses steht: - ebenso die "Gilde des heiligen Mauritius in Ebstorf" drei Mark vermacht. -
Bis ins 15. Jahrhundert hinein muss die Obrigkeit dieser "Bruthschafft" beim Kloster gelegen haben, denn am 11. November 1465 übertragen die Herzöge Friedrich und Otto von Braunschweig dem Kloster Ebstorf das Recht zur Beaufsichtigung und Bestrafung unmässiger Gelage bei Bauern und Bruderschaft....
Das erste bekannte eigene Statut erhielt die Ebstorfer Schützengilde erst um 1560, das auch heute noch absolute Grundlage unserer Traditionspflege ist. Aus dem Jahre 1739 liegt eine wörtliche Abschrift dieser sogenannten "alten Artikel" vor. Der Anfang lautet:
,,Gott dem Allmächtigen, dem Schöpfer, Stifter und Erhalter aller Dinge zu Ehren ist zur Erhaltung nachbarlicher Einigkeit vor vielen Jahren von sämtlichen im Flecken Ebstorf wohnenden Leuten eine Nachbargilde gestiftet worden". Der weitere Inhalt lässt erkennen, dass die Nachbargilde sich in erster Linie in Not- und Todesfällen gegenseitig Beistand leistete. Weiter werden hier Angaben über Zugehörigkeit zur Gilde, Krankenwachen, Notholz und Nägel für Särge, Kuhlengraben, Leichentragen, Glockenläuten im Einzelnen aufgeführt. Da in diesem Schriftstück noch nach der Schillingswährung gerechnet wird, muss die Entstehung vor dem Jahre 1572 liegen. Bei den Einkaufsgeldern heisst es: Gildekinder, die heiraten, je 8ß zusammen 16ß = ½ Taler. Diese Währung galt ab 1555 (1 Taler =2 Mark = 32ß = 384 Pfennig). Vom Scheibenschiessen hier wird nichts gesagt, doch lässt sich aus den silbernen Königsschildern an den Bandalieren, die auch noch heute vom Gildevorstand, Schützenkönig und Gildeoffizieren getragen werden, erkennen, dass die Nachbargilde auch eine Schützengilde älteren Ursprungs ist.
Das älteste Silberschild trägt die Jahreszahl 1667. Vorhanden sind heute noch 13 Bandaliere mit ca. 150 Silberschildern, ein Königsadler von 1752, der am Zylinder des amtierenden Scheibenkönigs getragen wird sowie die Königskette mit dem aus Silber gefertigten Schützenpapagoy . Dieser Papagoy ist eines der ältesten Stücke der Schützengilde Ebstorf. Stilistisch verglichen mit anderen Vogelinsignien ist er nach Meinung von Experten im 15. Jahrhundert entstanden.
Für die Verteidigung wurden die Waffen vom Kloster zur Verfügung gestellt. Vorhanden sind im Kloster noch vier Gleven (Speere), zwei davon sind über dem Kamin im Kloster-Remter zu sehen. Den Vorraum des ursprünglichen Haupteingangs an der Nordseite der Klosterkirche (12.Jahrh.) nennt man heute noch Waffenhalle. Hier waren Waffen und Ausrüstung untergebracht. 1618 kauft das Kloster der Gilde eine neue Armbrust für 20 Gulden und eine Muskete für 3 Taler. Nach 1660 wird das Schiessen auf die Scheibe eingeführt und das Königsschiessen mit der Armbrust auf einen Vogel an der langen Stange eingestellt. Die Schützenkönige der Ebstorfer Schützengilde sind seit 1664 mit Unterbrechungen feststellbar.
Insignien des Schützenkönigs der Schützengilde Ebstorf
Papagoy mit Königskette
Bandalierschild Wilhelm I. König v. Preußen Schützenkönig 1869 in Ebstorf
Königsadler von 1752 für Zylinder aus dem 14. Jahrhunder
Bis heute ist der Zusammenhang zwischen Gilde und Kloster nicht verlorengegangen. Dieses beweist u.a. auch der Ablauf des gesamten Schützenfestes, denn jede traditionelle Aktivität beginnt mit dem Gang ins Kloster. Am ersten Mittwoch im Juli geht der Tambour durch Ebstorf, um das Fest zu eröffnen. Er beginnt natürlich im Kloster. Seine grosse Trommel stammt aus der Landsknechtzeit und diente in früheren Zeiten zur Alarmierung der Gildebrüder bei Gefahren. Heute folgt dem Gildetambour eine fröhliche Kinderschar, um vor den Haustüren der Gildebrüder zu signalisieren, es ist Schützenfest, und um Süssigkeiten in Empfang zu nehmen. Nach Zahlung der Zechgelder im Schützenhaus, die jeder Gildebruder persönlich zu entrichten hat, erfolgt die Ausgabe der Kaltschale an die Witwen und Hinterbliebenen sowie an das Kloster. Diese Kaltschale wird nach uraltem Rezept zubereitet und von Gildeadjutant zu Gildeadjutant weitergegeben. Auch am Abend im Verlauf der Gildeversammlung - des Kommers - ist der grosse ,,Willkomm" mit diesem alkoholfreien Getränk gefüllt.
Dieser grosse Zinnhumpen, der zwar die Jahreszahl 1788 trägt, wurde, wie aus Rechnungen ersichtlich, unter erheblichen Belastungen bereits 1760 angeschafft. Hergestellt ist dieser Deckelpokal vom Meister Franz Joachim Grödeler, aus einer alten Zinngiesserfamilie aus Lüchow, der als Meister und Bürger seit 1759 in Uelzen lebte. Ein zweiter Willkomm in gleicher Form, ursprünglich im Besitz der Rademacher von Uelzen, befindet sich heute in Braunschweig.
Jeder Gildebruder darf nach den Statuten während seiner Mitgliedschaft nur einmal aus diesem Willkomm trinken und zwar bei der Aufnahme in die Gilde, denn nur so ist diese rechtskräftig, es sei denn, er schiesst sich zum König oder bekleidet in der Gilde ein verantwortungsvolles Amt. Auf dem Deckel thront die Figur des heiligen Mauritius mit einer Fahne, die vom rechten Tischnachbarn über dem Haupt des Trinkenden geschwenkt wird.
Der Donnerstag ist der Haupttag des Schützenfestes. Da gibt es das grosse Wecken, das Antreten der einzelnen Korps und das Abholen der Ehrengäste und des Schützenkönigs sowie die Präsentation im Kloster. Heute besteht die Ebstorfer Schützengilde aus drei unterschiedlich uniformierten Korps, dem Schwarzen Korps, Jägercorps und dem Joppen Corps. Diese Corps mit ihren Uniformen haben sich nach 1848 entwickelt, denn die ursprüngliche Festtracht bestand aus Gehrock und Zylinder, sie wird heute noch vom Gildevorstand und Gildefunktionären getragen.
Die Reihenfolge im Umzug ist auch genau festgelegt, es beginnt mit dem Scheibenträger -auch in Gehrock und Zylinder - mit der schwarz-weiss-roten Schiessscheibe aus Holz. Ihm folgen Söhne von Gildebrüdern, die Löffeljungen, auch ,,gewinntragende Jungen" genannt, sie tragen mit bunt geschmückten Mützen die Schiesspreise.
Die Schiesspreise der Ebstorfer Schützengilde sind silberne Löffel. Sie werden in der Reihenfolge der besten Schützen von den Löffeljungen nach der Königsproklamation übergeben und erhalten dafür ein Trinkgeld. In den vorhandenen Unterlagen wurden diese gewinntragenden Jungen 1749 erstmals erwähnt.
Um bei der Reihenfolge des Umzuges zu bleiben, folgen jetzt der Gildeadjutant mit seinem Spazierstock - auch in Gehrock und Zylinder -, dann der Gildehauptmann mit seinem Sponton (Speerartige Offizierswaffe 17.Jahrh.) sowie der gesamte Gildevorstand mit Schützenkönig und den Ehrengästen. Die Gildeherren halten ihre Schafferhölzer im rechten bzw. linken Arm. Diese werden erstmals 1567 erwähnt, als sich die Amtsverwaltung in Ebstorf gezwungen sah, gegen die wilden ,,Tanzsitten" einzuschreiten, da das Klopfen mit den Schafferhölzern nicht mehr fruchtete. Sie verbieten das Umwerfen der Frauen, ,,weil ihnen die Kleider dermassen umschweiften, dass es unhöflich ist dies anzusehen."
Diese Schafferhölzer sind der Gilde erhalten geblieben und werden auch noch heute vom 1. und 2. Gildeherrn bei den festlichen Veranstaltungen benutzt, um sich mit ihren ,,Hölzern" Ruhe zu verschaffen. Ohne Wertung auf das wahre Alter trägt das Schafferholz des I. Gildeherrn die Jahreszahl 1669.
Schon in sehr früher Zeit werden auch Fahnen der Gilde erwähnt, z. B. stiftet 1563 die Domina des Klosters Barbara von Appel eine ,,Neue Fahne". Die älteste heute noch erhaltene Klosterfahne trägt die Jahreszahl 1755.
Bei den jetzigen Schützenfesten werden fünf Fahnen von der Gilde im Festzug mitgeführt.
Zu erwähnen ist auch der historische Königstanz nach dem Königsessen, der in Form einer Polonaise mit genau festgelegten Teilnehmern und Tanzfiguren durchgeführt wird. Es werden hierbei von den Teilnehmern Tonpfeifen, geschmückt mit bunten Schleifen geraucht.
Es gibt noch vieles von den Verpflichtungen, die die Gilde an das Kloster und auch an das Amt Ebstorf hat, zu berichten. Eins aber sollte nicht unerwähnt bleiben, eine Verordnung von 1746, die bis heute von der Gilde strikt eingehalten wird. In dieser Verordnung hat der Kurfürst von Hannover und auch König von England, Georg II., angeordnet, dass der höchste Beamte im Ort beim Königsschiessen den ersten Schuss auf die Königsscheibe persönlich im Namen des Landesherren abzugeben hat. So war es möglich, dass 1869 der Amthauptmann Schulz den besten Schuss auf die Königscheibe abgab. Der Landesherr Wilhelm I., König von Preußen, wurde dadurch Scheibenkönig der Ebstorfer Schützengilde.
Darauf hat Wilhelm I. ein Silberschild gestiftet. Es wird am Bandalier des Scheibenkönigs getragen. eit 1885 sind es die jeweiligen Leiter der Staatsforst Ebstorf, die bis heute im Namen des Staatsoberhauptes den ersten Schuss auf die Königsscheibe abgeben.
Auch unser jetziger Bundespräsident Horst Köhler hat sich schriftlich bereit erklärt, in diesem alten Brauch einzutreten. Viele Silberlöffel sind seither für unsere Bundespräsidenten geschossen worden und im Jahre 2007 hat der Leiter der Revierförsterei tatsächlich den besten Schuß abgegeben und Bundespräsident Horst Köhler wurde Schützenkönig der Gilde. Im Oktober 2007 besuchte die Gilde ihn im Schloß Bellevue. Bericht aus Berlin
Gildeadjutant a.D. Volkmar Andres, 2008